Sonntag, 6. April 2014

Ukraine – die falschen Bilder und die Wirklichkeit

Seit mehreren Monaten steht die Ukraine nun im Fokus des öffentlichen Interesses. Das Land ringt um die Demokratisierung, muss den Verlust der Krim hinnehmen und befindet sich in einer insgesamt verzweifelten Situation. Die öffentliche Meinung im Westen scheint jedoch mehr den russischen Aggressor zu stützen als die junge ukrainische Regierung, der der Neuanfang gelingen muss, will sie den Staat nicht ins Chaos stürzen lassen. So genannte „Putinfreunde“ oder „Putinversteher“ beherrschen den Diskurs – von Gerhard Schröder bis hin zu Peter Gauweiler. Ukrainefreunde hingegen sind rar. Altkanzler Schmidt spricht in einem ZEIT-Interview der Ukraine das Recht oder die Notwendigkeit staatlicher Integrität ab. Gregor Gysi verunglimpft wie viele andere Vertreter der Linken und der Rechten die neue ukrainische Regierung als Faschisten, obwohl die neuen Rechten in der Ukraine nicht machtvoller sind als beispielsweise in Frankreich oder Schweden.
In der Öffentlichkeit prallt ein tief verwurzeltes positives Russlandbild auf ein negatives Ukrainebild – in Umdrehung der tatsächlichen Situation; der Aggressor bekommt einen Vertrauensvorschuss, der Überfallene und der um seine Existenz Ringende einen Misstrauensvorschuss, der auch mit dem Andauern der Krise nicht schwindet.
Dieses Missverhältnis, das eine klare Politik behindert, das den Aggressor zudem weiter in seinem Handeln ermuntert, hat Gründe. Russland hat es über viele Jahre gut verstanden, die eigenen Vorstellungen in der westlichen Welt zu verbreiten und zu verankern. Ehemalige Politiker werden bezahlt (wie Gerhard Schröder), Wissenschaftler instrumentalisiert (indem sie Berater einer mit Russland verbundenen Industrie wurden) und Journalisten auf einen russlandfreundlichen Kurs ausgerichtet (der Wiener Historiker Michael Moser in einem offenen Brief an den Spiegel: „Ich schreibe diesen Satz sehr ungern, aber: Die letzten Texte von Herrn Klußmann sehen geradezu aus, als ob sie aus Moskau bestellt worden wären.“).
Die Ukraine hingegen hat sich in den gut zwei Jahrzehnten ihrer Unabhängigkeit vor allem mit sich selbst beschäftigt. Ukrainischen Politikern war es allein wichtig, den eigenen Wohlstand zu mehren, das Wohl des Landes, auch die Außenwirkung des Landes schienen zweit- oder drittrangig. Das Desinteresse der vergangenen ukrainischen Regierungen an einer langfristigen und vorausschauenden Westbindung führte dazu, dass westliche Investitionen stockten, dass selbst die zwischenstaatliche Infrastruktur sträflich vernachlässigt wurde. Noch vor wenigen Jahren sucht man in der online-Zielländerauswahl bei einem deutschen Paketdienst nach dem Eintrag Uganda den der Ukraine vergeblich. Heute ist es für viele Privatpersonen einfacher, den zwischen Kiew und Deutschland verkehrenden Bussen Waren oder Dokumente persönlich mitzugeben, als diese einem Paketdienst anzuvertrauen, der dann die Sendungen auf eine lange Reise mit ungewissem Ausgang bringt.
Wo der wirtschaftliche Austausch schon stockt, da ist es auch mit dem Tourismus nicht weit. Menschen aus dem Westen, die in die Ukraine reisten und reisen, erleben ein schönes interessantes Land, aber sie werden nicht abgeholt, nicht mit offenen Armen empfangen, sie finden keine Strukturen vor. Wenn westliche Besucher die kyrillische Schrift nicht beherrschen sind sie in dem Land geradezu verloren ...
Diese Selbstbezogenheit der Ukraine, die mangelnde Öffentlichkeitsarbeit im Westen und die Vernachlässigung einer Vernetzung mit dem Westen haben dazu geführt, dass in den Köpfen der Westeuropäer keine positiven Bilder gewachsen sind. Gerade die Deutsche haben, wenn es um die Ukraine geht, immer noch Bilder im Kopf, die im nationalsozialistischen Deutschand gewachsen sind und gepflegt wurden: ein rohes, wildes Land, dass der deutschen Kultur unterlegen ist. Wenn wir an die Ukraine denken, dann fallen uns Schlägereinen im Parlament, Prostituierte in Bordellen, AIDS-Erkrankte in Odessa und natürlich die Atomkatastrophe von Tschernobyl ein. Positive Assoziationen fehlen meist ganz.
Dabei ist dieses verfestigte Bild, das selbst nach monatelanger Berichterstattung über die Ukraine kaum Risse zeigt, höchst einseitig. Ein positiveres Bild wäre, würden die Menschen die Ukraine besser kennen, naheliegend: Die Ukrainer sind in ihrer Kultur gerade den Deutschen sehr nah. Sie kümmern sich liebevoll um ihre Häuser und um ihre Gärten. In der Ukraine erlebt man als Reisender herzliche Gastfreundschaft.
Die Strände am Schwarzen Meer sind nicht weniger schön als die von Bulgarien – auch wenn die der Krim, zur Zeit unter russischer Zwangshoheit stehen.
Einige Städte in der Ukraine gehören zu den herausragenden touristischen Zielen Europas – und liegen doch meist abseits der Reiserouten. Kiew, Odessa und die Weltkulturerbestadt Lemberg überraschen und begeistern jeden, der sie besucht. In der Ukraine, gerade rund um Odessa oder in Bessarabien gab und gibt es nationale, auch deutsche Minderheiten mit eigener kultureller Ausprägung. Die Karpaten gehören zu den schönsten und einsamsten Gebirgen Europas – kaum erschlossen und von großer Erhabenheit.
Das größte Kapital des Landes sind die freundlichen und tatkräftigen Menschen. Prügelnde Parlamentarier sind nicht repräsentativ für die Bevölkerung eines Landes, das in der Vergangenheit immer auf der Verliererseite der Geschichte lag.
Das Bild im Westen und die Wirklichkeit – bei keinem anderen europäischen Land ist deren Abweichung voneinander so groß wie bei der Ukraine.

Jan Akebäck

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