Sonntag, 5. Februar 2012

Heute ein kleiner Text zu meinem Großvater. Eingestellt auf der Seite lueben-damals.de, einem bewundernswerten Erinnerungsprojekt zur einst deutschen Stadt Lüben.

Text und vor allem auch die Bilder unter www.lueben-damals.de/erinnerungen/aschenbeck.html



Der Kulturbaumeister Johann Hermann Aschenbeck 
Kreisbaumeister in Lüben, Baurat in Liegnitz

Johann Aschenbeck mit seiner ersten Frau
 
Mein Großvater, der am 29. September 1878 geborene Johann Aschenbeck, stammte aus dem kleinen oldenburgischen Dötlingen. Dem auf einem Geestrücken an dem Fluß Hunte gelegenen Dorf kam zur deutschen Olympiade 1936 der zweifelhafte Ruhm zuteil, als deutsches "Musterdorf" bezeichnet und beworben zu werden. Damals sollten sogar ausländische Gäste mit Bussen nach Dötlingen gekarrt werden, damit diese deutsches Bauerntum kennen lernen. Die Busse blieben aus, das "Musterdorf" war nicht mehr als eine fixe Idee, aber Dötlingen war trotzdem schön.
Johanns Vater Diedrich (1858-1929), mein Urgroßvater, wirkte um 1900 als "Wiesenbauer". Er organisierte mit großem Erfolg die Dötlinger "Rieselwiesengenossenschaft". Er plante und realisierte ein Bewässerungssystem, das Huntewasser mittels fein verästelter Gräben über die Wiesen führte. Ziel war, die Heuerträge zu steigern. Bis zur Mechanisierung der Landwirt-schaft waren derartige Bewässerungsgenossenschaften in ganz Deutschland üblich. Allerdings erforderte das empfindliche Grabensystem eine Heuernte von Hand, mit der Sense. Als in den 1950er Jahren die Trecker aufkamen, wurde die Riesel-wirtschaft aufgegeben.
Diedrichs Haus, die ehemalige Ölmühle, lag direkt an der Hunte und an dem von ihm entworfenen Huntestau. Diedrich hatte zehn Kinder, von denen zwei bei der Geburt starben.
Johann war der Erstgeborene. Wie sein Vater erlernte Johann den Beruf des Wiesenbauers und besuchte die Wiesenbau-schule in Suderburg. Mit 25 Jahren bekam er Arbeit in der Moorkolonie Bismarck in Ostpreußen. Er war Anfang 30, als er 1910 die zehn Jahre jüngere Hedwig Hahn aus Ischdaggen (Kreis Darkehmen) heiratete. Mit Hedwig hatte er zwei Kinder: Heinz-Dieter (geboren 1910), der Mitte der 1930er Jahre auch die Suderburger Wiesenbauschule besuchte, in dritter Generation, und Christel (1919-2008). Vermutlich um 1932 gingen Johann und seine Familie nach Lüben, wo Johann die Stelle des Kreisbaumeisters übernahm - in der Nachfolge des verstorbenen Baumeisters Zschau.
Aschenbeck kümmerte sich wie sein Vater vor allem um den "Wiesenbau", um die Begradigung von Wasserläufen und die Bewässerung der Wiesen. Über Aschenbecks Wirken schreibt Rudolf Schröther in "Die Wasserläufe im Kreis Lüben" im Lübener Heimatblatt 5/1979 S. 10:

"Regen Anteil an dem Ausbau der Wasserläufe, der Errichtung von Dränungen und anderen Kulturmaßnahmen hatte der weit bekannte Kulturbaumeister und spätere Baurat Aschenbeck. Ihm oblag auch die Gründung von Genossenschaften, die dann die Entwässerungsmaßnahmen durchzuführen hatten. Nun kann sich auch ein Laie auf diesem Gebiet vorstellen, welche Schwierigkeiten dabei auftraten. Schließlich soll sich jeder Beteiligte je nach dem errechneten Vorteil, den er aus der Entwässerung hatte, an deren Koten beteiligen. Und wenn es dann um diesen Punkt ging, wollte möglichst keiner Nutzen von der Maßnahme haben. Dann war es immer Aschenbeck, der es mit seiner Ruhe und seiner speziellen Art, mit Menschen umzugehen, verstand, die Verhandlungen zu dem gewünschten Abschluß zu bringen. Dabei war er ja nicht einmal Schlesier, sondern stammte aus Oldenburg. Aber in den vielen Jahren, in denen er das Kreisbauamt leitete, hatte er sich in die Denkweise unserer Bauern so eingelebt, daß er manchmal mit ihnen besser als ein Ortsansässiger fertig wurde. Er ließ die vielen Maßnahmen, die durchgeführt werden sollten, nach den damals gültigen Regeln planen und ausführen, wodurch besonders bei Dränungen und Binnenentwässerungen viel Nutzen entstand. Somit hat er zur wirtschaftlichen Verbesserung vieler bäuerlicher Betriebe maßgeblich beigetragen. Er wird sicher noch heute in der Erinnerung vieler Bauern weiterleben."

Über Johann Aschenbecks Jahre in Lüben wissen wir außer diesem kurzen Bericht nur wenig. Nicht einmal der Standort seines Hauses ist überliefert. Ein Foto aus diesen Jahren zeigt uns Christel, wie sie im "Luisenbund" Anschluß an die jungen Frauen der Stadt suchte. Christel, deutlich eine der Jüngsten im Verein, steht viel zu ernst für ihr Alter im Kreis der ausgelassenen einheimischen Frauen. Offensichtlich hat sie zu niemanden der Runde einen engeren Kontakt. Vielleicht zeigt das Bild aber auch ihre anhaltende Trauer über den Tod ihrer Mutter. Hedwig Aschenbeck starb in der ersten Hälfte der 1930er Jahre. Wann genau und was zu ihrem frühen Tod geführt hat, ist nicht bekannt.
Im Jahr 1936 heiratete Johann die Lübenerin Helene Tschorsch, die Tochter des Antiquitätenhändlers Tschorsch, der an der Liegnitzer Straße 42 sein Geschäft betrieb. Irmgard Hilbrink erwähnt ihn und sein Geschäft in ihren Erinnerungen.
Aus dieser zweiten Ehe gingen die Kinder Udo (* 1939 in Liegnitz, † 1995 in Hamburg), Rolf (* 1943 in Liegnitz) und Peter (geboren 1945 auf der Flucht) hervor. Udo Aschenbeck erreichte später eine gewisse Bekanntheit als Schriftsteller (Südlich von Tokio, Frankfurt am Main 1987; Woll, Hamburg 1994).
Kurz vor Kriegsende wurde Johann zum Baurat in Liegnitz befördert - in der Großstadt konnte er jedoch kriegsbedingt nicht mehr wirken. Sein Sohn Udo bescheibt in "Woll" das nahende Ende:
"Der Buh kommt! Der Buh kommt!" rief ich wieder, als das Geräusch einer Flugzeugstaffel ins Zimmer drang.
"Das sind Flugzeuge, die tun uns nichts, die fliegen weiter nach Polen." Vater schlug die Wagentür zu. 
"Bisher haben wir Glück gehabt. Schlesien ist die reinste Schlafkammer in diesem Krieg."
Schnell endete die trügerisch ruhige Zeit. Ende Januar 1945 begab sich die Familie zusammen mit Schwiegervater Tschorsch und Else, der Schwester von Helene, die den Lübener Gärtner Hans Ihm aus der Steinauer Straße geheiratet hatte, auf die Flucht. Dazu benutzten sie das eigene Automobil, vollgepackt mit Lebensmitteln und Alkohol - Tauschware und Überlebenshoffnung in einer ungewissen Zukunft.
Über die Flucht, die über Sachsen und Bayern nach Dötlingen führte, ist kaum etwas überliefert. Wurde ihnen der Wagen abgenommen? Udo beschreibt eine entsprechende Szene auf dem Dresdener Hauptbahnhof. Unter welchen Bedingungen wurde Peter geboren? Was haben sie erlebt, gesehen? Wie in Millionen anderen traumatisierten Flüchtlingsfamilien wurde darüber nicht gesprochen. Es ist zu bezweifeln, dass unsere Vorstellungskraft ausreicht, sich davon ein Bild zu machen.
Johann Aschenbeck hatte das Glück, in Dötlingen über ein Erbe zu verfügen: ein großes, direkt an der Hunte gelegenes Grundstück. Johann verkaufte den attraktivsten Teil des Landes an einen Bremer Kaufmann, hatte dadurch genügend Geld für den Kauf von Baumaterialien, und begann auf dem verbliebenen Teil mit dem Bau eines Hauses. Im Alter von 67 Jahren erstellte er mit bloßen Händen, unterstützt von im Dorf lebenden Verwandten, ein Wohnhaus für die siebenköpfige Familie.
Die Fertigstellung des eigenen Hauses im Jahr 1949 - eines schlichten Ziegelbaus mit Krüppelwalmdach - überlebte er nur um zwei Jahre. Die Strapazen der Flucht und des Hausbaus hatten ihm so zugesetzt, dass er 1951 entkräftet starb.
Helene Aschenbeck lebte bis Anfang der 1990er Jahre in dem Haus in Dötlingen/Ölmühle. Ihre Schwester Else und ihr ebenfalls aus Lüben stammender Ehemann wohnten genau gegenüber in einem verwunschenen Landhaus mitten im Wald.
Der zu früh gestorbene Udo Aschenbeck hat sich immer wieder mit seiner Kindheit beschäftigt. Sein Roman "Woll" steckt voller Sehnsucht - Sehnsucht nach Schlesien ("In Schlesien habe ich noch ein Haus") und Sehnsucht nach Dötlingen, der zweiten oder ersten Heimat.
"Eines Tages wird er sich endgültig auf den Weg machen", heißt es über den Protagonisten Gustav, das Alter Ego von Udo, "und der Weg wird über die Sauerlandautobahn führen, über Dortmund und Münster ins Oldenburgische. Wenn der Transit die Autobahn verläßt, das Dorf durchquert, das Haus im Wald gefunden ist, wird der Schlüssel vom Nachbarn geholt. Die klammen Zimmer werden begangen, die Einrichtung gemustert." 
Nach der Hausbesichtigung - seine Mutter ist gerade in ein Pflegeheim gekommen - führt Gustav seinen Freund zum Hof des Großvaters. "Da ist mein Vater geboren, sagte ich, zeigte auf den Hof und den Acker, zum Fluß im Westen, nach Osten, die Straße hoch, auf den Wald zu beiden Seiten, vom Norden im Poggenpohl zum Süden, wo die Rieselwiesen lagen. Die Größe hatte der Hof zu Zeiten meines Großvaters, sagte ich."

JAN AKEBÄCK
(unter seinem richtigen Namen ist Jan Akebäck Enkel von Johann)